Was war der Auslöser für „Sodom und Gomorra“ – gab es einen Moment oder eine Beobachtung, die das Schreiben in Gang gesetzt hat?
Die Themen unserer Gegenwart spielten dabei wohl eine bedeutende Rolle. Ob es nun unsere übermäßige politische Korrektheit bis hin zu der scheinbar immer weiter steigenden sexualisierten Gewalt ist. Außerdem finde ich, dass wir in unserer Gesellschaft eine sehr respektlose Debattenkultur haben. Will sagen, wir hören einander vielleicht zu, aber wir neigen dazu, andere Meinungen nicht zu akzeptieren und im schlimmsten Fall sogar mundtot zu machen. Mit Sodom und Gomorra habe ich versucht, mich mit unserer Gesellschaft der Gegenwart kritisch auseinander zu setzen.
Für wen haben Sie dieses Buch in erster Linie geschrieben?
Ganz ehrlich, ich würde sagen, dass ich Bücher in erster Linie immer für mich selbst schreibe. Soll heißen, ich glaube ich versuche beim Schreiben bewusst oder unbewusst Dinge zu verarbeiten. Und falls es dann Personen gibt, die meine geschriebenen Wörter gut finden, dann wäre dies für mich natürlich das coolste. Ich weiß nicht so recht, aber wenn ich jetzt behaupten würde, ich schreibe nur für potenzielle LeserInnen, dann müsste ich mir selbst Authentizität absprechen. Aus diesem Grund ist mein Roman vermutlich auch so wie er eben ist, zwar kontrovers und wohl hart an der Grenze, aber auch unverfälscht und ehrlich.
Ihr Stil wird als „sehr hart und provokant“ beschrieben: Was soll diese Sprache beim Lesen auslösen – ästhetische Entscheidung oder erzählerische Notwendigkeit?
Es geht mir natürlich auch darum zu schockieren. Aber vor allem möchte ich zum Nachdenken anregen. Mit meiner harten schonungslosen Sprache versuche ich aktuelle Themen und soziale Einstellungen zu kritisieren. Über meine detailliert beschriebenen Gewalt- und Sexexzesse kann man streiten, da habe ich für jegliche Kritik absolutes Verständnis. Aber wir leben nun mal in einer oberflächlichen Welt, in der wir uns über Materialismus und Statussymbole definieren.
“Um dies zu verdeutlichen und zu kritisieren, muss ich meiner Meinung nach zu radikalen und drastischen Mitteln greifen. Würde ich all das geschönt wiedergeben dann würde ich mich doch völlig zum Affen machen, denke ich mir.”
Der Roman versteht sich als gesellschaftskritisch. Welche Mechanismen oder Milieus wollten Sie sichtbar machen (z. B. Leistungsdruck, Perspektivlosigkeit, Männlichkeitsbilder, Konsumkultur)?
Ich finde, wir neigen extrem dazu unseren Selbstwert dadurch zu definieren, dass wir in den Augen der anderen als etwas gelten. Boshaft formuliert sind wir nichts anderes als eine Ware, die sich zwanghaft anbietet, um Nachfrage zu erzielen. Ich habe halt irgendwie das Gefühl, dass uns unsere vorherrschende Eitelkeit enorm abstumpft. Nicht zwischenmenschliche Beziehungen oder ethische Regeln, sondern Konsum und materieller Wohlstand stehen bei uns im Vordergrund. Sich durch seinen exklusiven Lifestyle zu repräsentieren ist doch schon lange zur Leitkultur geworden, nicht wahr? Wir sind meiner Meinung nach Akteure in einer Welt des großen Scheins. Das bringt leider ein großes Maß an Arroganz, Egoismus und Rücksichtslosigkeit mit sich.
Wie finden Sie Empathie für Figuren, die destruktiv handeln – und gab es eine Szene, in der Sie selbst von der Radikalität überrascht waren?
Die Figuren in meinem Roman sind orientierungslose, gelangweilte Nihilisten, die ihrem Leben keinen wahren Sinn abgewinnen können. Ein Mitfühlen mit den Gefühlen eines anderen scheint schlicht weg nicht vorhanden zu sein. Traurigerweise bleibt es nicht bloß bei ausschweifenden Partys, Drogen und Sex, sondern ihr fehlendes Moralempfinden führt schließlich zu Skrupellosigkeit und völlige Gefühlsabstumpfung. Die extremen, gewalttätigen Tendenzen in einigen Szenen haben auch mich selbst schockiert. Dennoch stehe ich dazu, dass es absolut notwendige Maßnahmen waren. Ich wollte diese trostlose Atmosphäre nicht mit positiven Gefühlen verwässern oder beschönigen. Am Ende des Tages wäre dies nur Dekoration gewesen.
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Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Schonungslosigkeit und Voyeurismus, wenn es um Sex, Drogen und Gewalt geht? Arbeiten Sie mit Content-Hinweisen oder dramaturgischen „Gegenstimmen“?
Ich tue mich ehrlich gesagt schwer, mir selbst auf das Schreiben bezogen irgendwelche Grenzen zu setzen. Ich habe sozusagen keine Benimmregeln und Tabuverstöße sind für mich fast so etwas wie ein Ansporn. Etwas das nicht ausgesprochen werden darf gibt es für mich so gut wie nicht. Ich persönlich finde es schlimmer, wenn über ein sensibles und unangenehmes Thema ein Mantel des Stillschweigens gebreitet wird.
Wie haben Sie für die Authentizität recherchiert – Gespräche, Beobachtungen, eigene Erfahrungen – und wie vermeiden Sie, problematische Lebensstile zu glorifizieren?
Es handelt sich bei meinen Werken nicht um autobiographische Texte und auch die Figuren sind fiktional. Ehrlich gesagt entstand mein Roman sehr spontan und ich habe mich im Vorhinein nicht wirklich darauf vorbereitet. Ich habe Gespräche, Beobachtungen und Erfahrungen in meinem Leben bestimmt mit einfließen lassen. Was aber nicht bedeuten soll, dass reale Fakten und Fiktion in meinem Buch verschwimmen.
“Ich möchte mit einer expliziten Darstellung von Gewalt und Pornografie keine problematischen Lebensstile verherrlichen, ich versuche damit stets eine im Gegensatz dazu kritische Botschaft zu senden.”
Ich kann allerdings nachvollziehen, wenn die Art und Weise wie ich das mache, nicht toleriert und gutgeheißen wird.
Welche Kill-Your-Darlings-Entscheidung war besonders schmerzhaft?
Ich musste mich zum Glück von nichts an meinem Roman trennen. Zugegeben, der erste Entwurf war etwa über 200 Seiten lang, obwohl die endgültige Fassung nur 136 Seiten hat. Es wurde aber nichts aus meinem Text gestrichen, mit dem ich emotional verbunden war oder das mir sonderlich schwerfiel.
Welche Rolle spielt Ihre Herkunft/Umgebung (Graz/Österreich) für Ton, Figuren und Schauplätze? Fließt Dialekt oder regionale Sprache bewusst ein?
Tatsächlich spielt meine Herkunft dabei überhaupt keine Rolle. Wenn es um Literatur, Filme und Musik geht, wurde ich vor allem durch Amerikaner beeinflusst.

Blick nach vorn: Woran arbeiten Sie als Nächstes – bleibt der Ton so radikal, oder reizt Sie ein anderer Zugang (andere Perspektive, Genre, Form)?
Ich werde meinen harten satirischen Stil mit Sicherheit beibehalten. Ich fühle mich nach wie vor im Genre Transgressive fiction sehr wohl. Soll heißen, ich möchte weiterhin auf eine provokante Art und Weise über Tabuthemen wie Drogen, Sex und Gewalt schreiben.



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